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Vielleicht ist es ein Traum: Gedanken zur Tarifrunde

Wenn man auf der Heimfahrt von einer Tarifrunde ist (in dem Fall der VIERTEN in Frankfurt), hat man im Zug genügend Zeit, sich so seine Gedanken dazu zu machen. Wenn meine Kolleginnen und Kollegen wüssten, wie man mit uns in solchen Verhandlungen manchmal umspringt – sie würden sich ärgern und verwundert die Augen reiben.

Apropos Augen, besser Augenhöhe: Fehlanzeige! Ziel des VöB? Keine öffentlichkeitswirksamen Aktionen der Gewerkschaft. Ziel erreicht? Nein, Fehlanzeige, wie Ihr Engagement gezeigt hat!

In der – nochmals: VIERTEN! – Verhandlungsrunde ein ERSTES Angebot (und der VöB betonte mehrfach das Wort ERSTES), das mir und Ihnen bei 38 Monaten Laufzeit gerade mal etwas mehr als 1% pro Jahr bietet! Klare Botschaft:  … und nun macht mal, und dann reden wir in der FÜNFTEN Verhandlungsrunde weiter. 

Wie bekomme ich es da hin, dass die Beschäftigten meines Unternehmens sich mehr für tarifliche Belange interessieren; sich noch mehr engagieren; gar vielleicht ver.di-Mitglied werden? Gerade auch nach einer Woche, in der man an zwei Standorten Warnstreiks durchgeführt hat (einmal virtuell; einmal in Präsenz). Über 1.000 Aufrufe verteilt worden sind. Alle ver.di-Mitglieder angeschrieben worden sind. Man sehr viele Klicks in den sozialen Netzwerken wahrgenommen hat. Es eigentlich auch viele positive Rückmeldungen gibt.

Und die Teilnahmen dann doch noch sehr ausbaufähig wären.

Es gibt doch Beispiele…
Man sieht doch Beispiele, wie es gehen könnte, die berechtigten Forderungen auch umgesetzt zu bekommen. Ich bewundere beispielsweise die Lokführer und Lokführerinnen: Sie haben sich in großer Anzahl gewerkschaftlich organisiert. Sie wissen genau, was sie wollen (und dass das, was sie fordern, bei ihren Arbeitsbedingungen gerechtfertigt ist, kann ich als Eisenbahnfan mehr als nachvollziehen). Auch wenn ich natürlich nicht glücklich bin als Reisender: mit Streiks und der Macht, die sie haben, bekommen sie ihre Ziele hin. Oder die IG Metaller; oder immer mehr die Erzieherinnen und Erzieher, Pflegekräfte usw. Warum haben wir als Bänker so wenig Mut, für uns selbst einzutreten?

Wer kennt die Probleme und Wünsche der Beschäftigten…
Neuerdings wird mir als Gewerkschafter von der Arbeitgebern vorgehalten, sie wüssten es besser als die Gewerkschaften, was die Beschäftigten wollen. Zwei Beispiele: es gibt sicher Kolleginnen und Kollegen, für die es gut ist, sich die Arbeitszeiten am Tag freiwillig selbständiger flexibel einteilen zu können.

Aber in meiner Arbeit erlebe ich es fast täglich, wie das Wort freiwillig schnell ausgenutzt wird. Also heißt das doch nicht gleich, dass die reguläre Arbeitszeit abends auf Dauer zuschlagsfrei bis 22 Uhr geöffnet werden sollte, nur weil wir dies derzeit in der Ausnahmesituation einer Pandemie auch einmal pragmatisch zulassen.

Ich weiß doch genau, dass die Kultur vieler Führungskräfte häufig bei weitem noch nicht so entwickelt ist, dass es nicht sofort dazu kommen würde, dass von VIELEN, wenn nicht gar ALLEN im Team dann erwartet wird, doch auch mal Wichtiges noch abends zu erledigen, wenn es die Kollegin oder der Kollege nebenan ja auch macht. Zum Beispiel das nötige Lernprogramm, zu dem man am Tag keine Zeit hat aufgrund Personalknappheit in den Filialen oder zu viel Arbeitslast. Diese generelle Öffnung der Arbeit in den Abendstunden muss deshalb sehr genau überlegt werden!

Beispiel zwei: Das Fahrradleasing ist natürlich eine prima Sache. Die Arbeitgeber sagen, sie machen das nur, weil sie wissen, dass die Beschäftigten es wollen. In der Tat, viele von Ihnen fragen uns immer wieder danach. Aber wollen denn die Beschäftigten TATSÄCHLICH einen Vertrag, bei dem ich bei genauerem Hinsehen in erster Linie ein Versicherungspaket abschließe, an dem vor allem der Versicherer verdient?

Denn schließlich zahlt ja meine eigene Hausratversicherung nicht, weil mir das Fahrrad gar nicht gehört. Oder ich mit diesem Vertrag keinen Rabatt mehr rausschlagen kann? Ich nebenbei noch meine Sozialleistungen reduziere und indirekt für alle das Sozialsystem verteuere? Und der Arbeitgeber auch noch Sozialversicherung spart; er mir das aber oft nicht weitergeben will? Wollen wir, wollen Sie das wirklich? Ich denke, ein Bonus unabhängig ob für Fahrräder, E-Autos, ÖPNV-Tickets, usw. bringt doch nachhaltig viel mehr! Und das ganz ohne die aufgeführten Nachteile!


Fazit: Die ganzen Aspekte sollten sich meine Kolleg*innen einfach mal genau überlegen. Trinken Sie eine Tasse Kaffee oder Tee und denken in Ruhe nach. Und machen sich dann bewusst:

  • Dass wir unsere berechtigten Forderungen nur dann umgesetzt bekommen, wenn mehr mitmachen
  • Wenn jeder, der schon dabei ist, 2 weitere mitnimmt
  • Wenn man den Mut hat, am Streiktag einfach mal seine Meinung zu sagen (davon lebt unsere soziale Marktwirtschaft)
  • Man Gewerkschaftsmitglied wird, um die Sache zu unterstützen
  • Ich durch meine Teilnahme am Streik auch meine Gewerkschafter, die sich für mich einsetzen, unterstütze


Vielleicht bleibt es dann KEIN Traum, einen guten Tarifabschluss zu erzielen…

Jürgen Dehn, LBBW, Mitglied der Verhandlungskommission


Dieser Artikel stammt aus dem aktuellen VÖB Magazin. Dort gibt es weitere Interessante Artikel zur Tarifrunde, zum Thema Belastung in den Förderbanken, zum Thema Mobiles Arbeiten in der BayernLB und noch einiges mehr…


Eine Antwort zu “Vielleicht ist es ein Traum: Gedanken zur Tarifrunde”

  1. Tja, scheinbar sind sehr viele bei uns mit dem Erreichen zufrieden. Wir haben mit 2 von 12 Mitarbeitenden gestreikt – m.E. mehr als ausbaufähig. Aber: die anfallende Arbeit (interne MF) bleibt liegen und darf dann in den nächsten Tagen mit aufgearbeitet werden…….nur die Bank freut sich, hat ja Gehalt gespart. Meine vor Jahren schon getätigte Anfrage beim (ver.di-) Personalrat, wer denn die im Streikzeitraum ankommende Arbeit nacharbeitet (die „Nicht-Streikenden“, oder extern von der Bank zu beauftragende Kräfte, wenn alle streiken ?), wurde belächelnd mit: ich selbst natürlich! beantwortet.

    Also kann ich (leider) die Mitarbeitenden verstehen, die nicht streiken – bringt denen mehr Stress und Geldverlust, bei gleichem Arbeitsaufwand und verschafft der Bank noch einen Bonus (eingespartes Gehalt) für die Führungskräfte…….